Pressemitteilung, 06.05.2019

Gemeinderat beschließt am 9.5.2019 über den 2 Milliarden Vertrag zur “Gigabit Region Stuttgart”.  Geht es beim Breitband wie beim Wasser – droht ein Ausverkauf der Rechte der Stadt?

Das Klima- und Umweltbündnis Stuttgart (KUS), Kommunale Stadtwerke e.V., die Naturfreun­de Stuttgart und die Bürgerinitiative Mobilfunk sind empört über die Pläne, den geheim gehaltenen Vertrag “Gigabit Region Stuttgart” (GRS) am 9.5.2019 vom Gemeinderat absegnen zu lassen und jede Bürgerbeteiligung zu unterbinden. Die vier Umweltgruppen fordern eine Absetzung des Tagesordungspunktes, eine Offenlegung des Vertragstextes und Beschlüsse zur Bürgerbeteiligung zu diesem zentralen Projekt der Daseinsvorsorge.

Die Umweltgruppen rufen am Donnerstag, 9.5.2019 um 15:30 Uhr zu einer Protestaktion im Stuttgarter Rathaus auf.

Am 9.5.2019 liegt dem Gemeinderat Stuttgart der Vertrag  mit der Telekom zur “Gigabyte Region Stuttgart” zur Abstimmung vor. Er ist mit einem Volumen von ca. 2 Milliarden Euro eines der größten Public-private-Partnership-Projekte. In ihm wird die Infrastruktur für die digitale Transformation der Region geregelt, durch den Breitband (Glasfaser)- und 5G-Ausbau mit dem Ziel von Smart Cities. Umfang und Inhalt des Vertrages sind geheim, wie 2002 bei Cross Border Leasing, dem Wasser­verkauf. Die Bürger erfuhren erst im Nachhinein, wie OB Schuster und der Gemeinderat über den Tisch gezogen wurden. Die Geheimhaltung der Vertragsinhalte deutet darauf hin, dass ein Ausverkauf kommunaler Rechte stattfindet. Die StadträtInnen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet! Warum dürfen die BürgerInnen nichts von dem Vertragsinhalt erfahren?

Das Klima- und Umweltbündnis Stuttgart, die Kommunalen Stadtwerke e.V,  die Naturfreun­de Stuttgart und die Bürgerinitiative Mobilfunk kritisieren diese Geheimhaltungspolitik scharf. Wir fordern, dass der Punkt von der Tages­ordnung abgesetzt und eine Bürgerbeteiligung beschlossen wird, wie sie von der Landesregierung in ihrer Digitalisierungsstrategie als unverzichtbar vorgeschlagen wird.

Der flächendeckende Breitbandausbau, d.h. schnelles Internet für alle, gehört zur elementaren Daseinsvorsorge wie Strom, Gas, Wärme, Wasser und Abwasser und darf nicht an einen kapital­marktorientierten Konzern vergeben werden. Breitband gehört in kommunale Hand. Das Breitband­netz als Eigenwirtschaftsbetrieb zu führen, war bisher Beschlusslage der Stadt Stuttgart, das wurde von OB Kuhn dem Telekom-Deal geopfert, hinter dem Rücken des Gemeinderats. Durch diese Vorgehensweise der Stadt wird erneut zugelassen, dass andere Akteure die Chance haben, Einfluss auf die Infrastruktur der Daseinsvorsorge zu nehmen.

Die Landesregierung schreibt in ihrer Digitalisierungsstrategie:Wir werden besonders Bürgerinnen und Bürger einbeziehen und dabei verschiedene Formate der Bürgerbeteiligung nutzen – online wie auch offline. Dabei sollen auch die kritischen Fragen zur Digitalisierung zur Sprache kommen.“ Das Gegenteil ist der Fall. Eine breite gesellschaftliche Debatte findet nicht statt, der Oberbürgermeister verweigert sie sogar. Eine Teilnahme an zwei öffentlichen Veranstaltungen im Hospitalhof zur Digitalisierung und dem GRS-Vertrag lehnten OB Kuhn, Bürgermeister Pätzold und die Wirtschafts­förderung mit der Begründung ab, sie seien nicht kompetent. Das überrascht, weil die Stadt Stuttgart an der Ausarbeitung der “Smart City Charta” der Bundesregierung beteiligt war und alle Risiken der Digitalisierung kennt, die dort dokumentiert werden.

Auf Grund der im ganzen Land bekannten Praxis der Telekom bei der Internet- und Mobilfunkver­sorgung liegt die Vermutung nahe, dass sie sich im Vertrag eine Monopolstellung festschreiben lässt. Die Bürgergesellschaft will wissen:

  • Muss die Telekom sowohl die sogenannten wirtschaftlichen und auch unwirtschaftlichen Gebiete gleichermaßen mit Breitband (Glasfaser) versorgen und können dafür die Kommunen die Planungsvorgaben machen?
  • Oder müssen die Kommunen sogenannte unwirtschaftliche Gebiete selbst finanzieren, nach den finanziellen Forderungen der Telekom?
  • Behalten die Kommunen bei der 4G- und 5G-Versorgung weiter das Recht, unter dem Gesichtspunkt des Schutzes sensibler Orte und der Strahlungsminimierung Mobilfunk­standorte abzulehnen, wenn sie Alternativstandorte vorschlagen?
  • Oder wird in dem Vertrag eine Förderpflicht festgeschrieben, die dieses Recht außer Kraft setzt?
  • Sind die Mietgebühren für die Wettbewerber diskriminierungsfrei und werden sie von einer neutralen Stelle festlegt?
  • Oder hat die Telekom das Monopol, sie alleine festzulegen?
  • Stehen die Daten, die über alle Vorgänge in der Region, z.B. über den Verkehr, sicherheits­relevante Daten aus Wirtschaft und Wissenschaft, der private Datenfluss aller Einwohner unter öffentlicher Kontrolle?
  • Oder dürfen die Daten von der Telekom abgespeichert und darf mit den Daten gehandelt werden?
  • Darf das 5G-Netz erst gebaut werden, wenn eine Technikfolgenabschätzung über die gesundheitlichen Risiken der dafür benutzten Frequenzen vorliegt? Auf Grund der Forschungslage, Protesten von Wissenschaftlern und Ärzteverbänden und der fehlenden Technikfolgenabschätzung haben z.B. die Städte Brüssel, Genf und Florenz einen Ausbaustopp verfügt.
  • Oder wird in dem Vertrag der Telekom ein Freibrief für einen unregulierten 5G-Ausbau gegeben?
  • Wird im Vertrag festgelegt, dass bei der zukünftigen Mobilfunkversorgung das Vorsorge-Prinzip eingehalten, eine Politik der Strahlenminimierung verfolgt und gesundheitliche Kriterien mitberücksichtigt, und können deshalb die Kommunen lokale Ausbaukriterien festlegen?
  • Oder wird den Mobilfunkbetreibern freie Hand gelassen?
  • Sind die Stadt Stuttgart und die Region an den Gewinnen des Public-private-Partnership-Projektes beteiligt?
  • Oder hat die Telekom das Einnahmemonopol auf unbestimmte Zeit und wird sogar vom Steuerzahler subventioniert?
  • Wurde das Projekt wettbewerberneutral ausgeschrieben?
  • Oder spielte der ehemalige Stuttgarter OB Wolfgang Schuster als Cheflobbyist und Vorsitzender des Telekom-Kommunalbeirats bei den Verhandlungen eine Rolle, und wenn ja, welche? Eine entsprechende Anfrage vom 17.01.2019 wurde von OB Kuhn bis dato nicht beantwortet.[1]

Diese geplante Infrastruktur ist laut Oberbürgermeister Kuhn die Voraussetzung für die Smart City. Ihre Folgen stellen nach Untersuchungen z.B. des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) die bisherigen Bemühungen der Umweltverbände und des Gemeinderates zu einer energieeffizienten Stadt in Frage. Der WBGU warnt: “Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen.”[2]

Die SmartCity mit Millionen mobil vernetzter elektronischer Geräte des Internets der Dinge, von Smart Home bis zum geplanten autonomen Fahren, wird voraussichtlich den Energieverbrauch der Städte vervielfachen und ist damit ein Klimakiller. Damit steht die Smart City auch im Widerspruch zum Stuttgarter Masterplan 100% Klimaschutz. Warum legt die Stadt Stuttgart keinen ökologischen Fußabdruck der Folgen dieser Infrastrukturmaßnahmen vor?

Schon einmal hat die Stadt die Kernstücke der Daseinsvorsorge verkauft, das Wasser, die Wärme, Strom und Gas! Wir appellieren an die StadträtInnen, aus diesen Fehlern Konsequenzen zu ziehen!

Ansprechpartner

Für das KUS (Klima- und Umweltbündnis Stuttgart): Manfred Niess, Kernerstraße 22 B, 70182 Stuttgart, Tel. 0711 – 297082, E-Mail: MNiess@t-online.de

Für die Naturfreunde Stuttgart e.V.: Jürgen Schmid, Mobil: 0163 – 1637654, E-Mail: schmiddi-degerloch@arcor.de

Für die Bürgerinitiative Mobilfunk: Peter Hensinger, Bismarckstraße 63, 70197 Stuttgart, Tel. 0711-63 81 08, E-Mail: peter.hensinger@diagnose-funk.de

Für die Kommunalen Stadtwerke e.V.: Michael Fuchs, Tel. 0711 – 470148-24

E-Mail: michael.fuchs@kommunale-stadtwerke.de

[1] http://mobilfunkstuttgart.de/anfrage-soeslinkeplus-welche-rolle-spielt-wolfgang-schuster-beim-telekom-deal-mit-der-stadt-stuttgart/.  Presseerklärung der Telekom Stiftung: “Schuster wir den Konzern künftig in kommunalpolitischen Fragestellungen in Bezug auf den Breitbandausbau und die Digitalisierung beraten. Als Vorsitzender des neu geschaffenen Kommunalbeirats wird er an der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und der Deutschen Telekom mitwirken. Dabei bringe er “seine ausgewiesene Expertise als Kommunalpolitiker und ehemaliger Stuttgarter Oberbürgermeister ein”, so Höttges weiter.”(06.09.18)

[2]  https://www.wbgu.de/de/service/presseerklaerung/digitalisierung-in-den-dienst-nachhaltiger-entwicklung-stellen